Abgeregelten Grünstrom statt Gas nutzen
Power-to-Heat birgt Einsparpotenzial in Milliardenhöhe
Der schleppende Netzausbau setzt die Energiewende massiv unter Druck – bislang ohne spürbare Konsequenzen für viele Netzbetreiber. Um die dringend erforderlichen Infrastrukturmaßnahmen zu beschleunigen, muss der politische und regulatorische Druck deutlich erhöht werden. Auch kurzfristig wirkungsvolle Entlastungsmaßnahmen sind überfällig: Überschüssiger Strom darf nicht länger verschwendet, sondern muss konsequent für die lokale Wärmeerzeugung genutzt werden. So können Milliarden für Erdgas eingespart werden. Dazu braucht es verlässliche Rahmenbedingungen.
Der Kreis Paderborn gilt als Vorreiter beim Ausbau der Windenergie im Binnenland. Infolgedessen ist die Hochspannungsleitung des Verteilnetzbetreibers Avacon von Paderborn nach Twistetal zum Sinnbild des schleppenden Netzausbaus geworden. Die Stromleitung ist seit 2016 der größte Engpass mit den häufigsten Abschaltungen in Nordrhein-Westfalen. Der erzeugte Strom kann aufgrund fehlender Netzkapazitäten nicht zuverlässig abgeführt werden.
Bereits 2018 führten Windkraftprojektierer aus der Region Gespräche mit den zuständigen Netzbetreibern Avacon und TenneT sowie mit der Bundesnetzagentur. Avacon sagte damals zu, die Leitung bis 2022 neu zu errichten. Trotz der Dringlichkeit hat der Umbau der Leitung bis heute nicht begonnen. Ähnlich schleppend läuft der Anschluss von Batteriespeichern. Seit vielen Jahren wird von der EE-Branche gefordert, Speicher zu bauen. Inzwischen sind die Batteriepreise so günstig, dass große Batteriespeicherprojekte an Umspannwerken zu realisieren wären. Aber sowohl Avacon als auch Westnetz stehen hier auf der Bremse. Die Netzbetreiber sehen das Problem darin, die verfügbaren Netzkapazitäten zweckmäßig auf die vielen Batterie-Anfrager zu verteilen. Aber statt hier ein Procedere zu entwickeln, wird einfach blockiert. Die Energieaufsicht muss die Netzbetreiber in die Pflicht nehmen Batteriebetreiber anzuschließen.
Angesichts der steigenden Kosten für Redispatch-Maßnahmen und der schleppenden Umsetzung des Ausbaus der Netze sehen wir dringenden Handlungsbedarf. Der Druck auf die Netzbetreiber muss steigen. Die nachfolgenden Vorschläge zielen darauf ab, Fehlanreize zu vermeiden, die Effizienz im Netzbetrieb zu stärken und die Verantwortung der Netzbetreiber für eine zügige Engpassbeseitigung zu schärfen. Netzbetreiber sollten die Kosten für Redispatch nur auf die Netzentgelte umlegen dürfen, wenn sie zuvor nachweisen, dass alle Optimierungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Wenn Netzengpässe nicht in einem angemessenen Zeitraum beseitigt werden (max. 5 Jahre), sollte die Wälzung der Redispatchkosten mit einem jährlich steigenden Prozentanteil ausgeschlossen werden. Netzbetreiber, die das nicht für wirtschaftlich tragbar halten, können ihre Netze zum Buchwert zum Verkauf anbieten.
Neben dem dringend notwendigen Netzausbau gibt es weitere Stellschrauben, die zur Entlastung der Stromnetze beitragen können. Überschussstrom ließe sich mit einfachen Maßnahmen für die Wärmegewinnung vor Ort nutzbar machen (Power to Heat). Strom, der vor Ort gebraucht wird, muss nicht über die Netzebenen transportiert werden. Power-to-Heat-Anlagen können in Zeiten der Abregelung fossile Brennstoffe wie Erdgas ersetzen. Im Jahr 2024 wurden 14,2 TWh Strom abgeregelt. Damit hätten 47 TWh Gas für Raumwärme und Warmwasser ersetzt werden können. Das sind 17 Prozent des deutschen Jahresbedarfs. Wäre dieser Strom für die lokale Wärmegewinnung nutzbar gemacht worden, hätte Erdgas im Wert von 4,4 Milliarden Euro eingespart werden können. Das Potenzial liegt sogar noch deutlich höher. Denn die Börsenstunden, in denen Strom deutlich günstiger ist als Gas nehmen immer weiter zu.
Allerdings legt die Politik dieser Alternative zum Redispatch Steine in den Weg. Seit dem 1. Januar 2024 zahlt das produzierende Gewerbe in Deutschland nur noch den europäischen Stromsteuermindestsatz von 0,05 Cent/kWh. Power-to-Heat-Anlagen sind explizit davon ausgenommen. Das Problem: Selbst wenn die Betreiber von Erneuerbaren-Anlagen den abgeregelten Strom verschenken würden, lägen die Kosten für die Kunden allein durch Stromsteuer und Netzentgelte pro kWh immer noch über dem Gaspreis. Betreiber, die den Strom im Fall einer drohenden Abregelung vor Ort abgeben wollen, riskieren ihre EEG-Vergütung.
Die Netzentgelte sollten während negativer Redispatch-Phasen im betroffenen Gebiet deutlich reduziert werden. So lassen sich Power-to-X-Anwendungen gezielt fördern. Abschaltmengen und -kosten werden reduziert und gleichzeitig die Netzerlöse gesteigert. Zudem muss der Gesetzgeber die Stromsteuer für Power-to-Heat-Anlagen auf das europäische Mindestmaß absenken, um zusätzliche Hürden zu beseitigen.
Ohne den konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien sind die EU-Klimaziele für Deutschland nicht erreichbar. Dies wird hohe Strafzahlungen nach sich ziehen. Das Öko-Institut rechnete in einer Studie diesen Monat vor: Allein für die nächsten fünf Jahre könnten auf Deutschland Kosten von bis zu 33 Mrd. Euro zukommen. Auch die Industrie äußert sich inzwischen entschieden für eine Fortführung der Energiewende. Sie will keine ständigen Kursänderungen in der Energiepolitik, die der Planungssicherheit und dem Investitionsklima schaden.